Fumio Kishida: Japans neuer Regierungschef steht für Kontinuität (2024)

Wenn Japans Langzeit-Regierungspartei LDP ihren Präsidenten wählt, bestimmt sie auch gleich, wer die Regierung führt. Gesiegt hat Fumio Kishida, ein Mann des Establishments und der Kontinuität.

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Japans nächster Ministerpräsident Fumio Kishida ist kein Mann, der die Massen bewegt. Steif stand er am Mittwoch nach seinem Sieg in der Präsidentschaftswahl der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) auf einer Bühne in Tokio. Nur kurz erhob er die Stimme. «Es gibt keine unterschiedlichen Lager», rief er seiner Partei und seinen drei Gegenkandidaten zu.

Gemeinsam wolle man in den Unterhauswahlen kämpfen, die voraussichtlich in der ersten Novemberhälfte stattfinden werden. Er wolle dem Volk eine neugeborene Partei präsentieren, eine Partei, die zuhören könne. Die Abgeordneten applaudierten.

Auch Kishida will Probleme mit Geld lösen

Grosse Hoffnung auf Reformen in entscheidenden Fragen wie Klimaschutzpolitik, Digitalisierung der Gesellschaft und Japans Wettbewerbsfähigkeit kann man sich bei Kishida nicht machen. Mit ihm hat die staatstragende Partei Japans einen Vertreter des innerparteilichen Mainstreams an ihre Spitze gesetzt. «Weiter wie bisher», lautet Kishidas Losung – das wurde in seiner kurzen Antrittsrede deutlich.

Als Erstes will der neue Parteipräsident noch dieses Jahr ein mehrere 100 Millionen Franken schweres Konjunkturprogramm gegen die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Weg bringen. Probleme mit Geld zu lösen, ist eine Tradition der LDP, die bis auf wenige Jahre seit 1955 das Land regiert. Das Resultat: eine Staatsverschuldung von mehr als 250 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Kishida versprach im innerparteilichen Wahlkampf einen «neuen Kapitalismus». Übersetzt heisst das, dass er die «Abenomics» wiederbeleben will, die sein Vorvorgänger Shinzo Abe 2012 eingeführt hat, allerdings mit einem neuen Twist. Kishida will nicht bloss auf hohe Staatsausgaben und eine ultralockere Geldpolitik setzen. Gleichzeitig sollten Einkommen umverteilt werden, hin zu den ärmeren Bevölkerungsschichten. Und in die ländlichen Regionen, die massiv unter schrumpfender Bevölkerung leiden. Das hat die LDP schon früher versprochen, passiert ist wenig.

Kishida kommt aus einer Politikerdynastie

Kishida stammt wie viele Abgeordnete der LDP aus einer alten Politikerfamilie. Schon sein Grossvater und sein Vater sassen im Unterhaus. Nach dem Studium sammelte er zuerst etwas Erfahrung in einer Bank, bevor er Sekretär eines Parlamentariers und dann ab 1993 selbst Abgeordneter wurde.

Nach Abes Amtsantritt im Jahr 2012 wurde Kishida Aussenminister. Er hatte dieses Amt so lange inne wie niemand sonst. Damit ist er gut vorbereitet für den schwierigen Balanceakt, den Japan zwischen dem aufstrebenden China und der Schutzmacht USA gehen muss.

Kishida hatte sich bereits vor einem Jahr für die Parteiführung beworben, unterlag damals aber Yoshihide Suga. Als Suga Anfang Monat überraschend seinen Rücktritt ankündigte, meldete Kishida als Erster seine Kandidatur an. Zwar hat das Volk nichts zu sagen in der Kürung des LDP-Präsidenten, doch Kishida warb in den Medien aggressiv für sein Programm vom «neuen Kapitalismus», als müsste er Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen.

Er versuchte so die Parteibasis zu erreichen, kam damit jedoch nicht wirklich an. In Meinungsumfragen führte mit Taro Kono ein anderer Kandidat deutlich in Umfragen beim LDP-Fussvolk. Kono wäre für Aufbruch und Veränderungen gestanden: Er drängt auf Reformen und ist kritisch gegenüber der Atomkraft eingestellt, was innerhalb der LDP ziemlich unerhört ist.

Kishidas Gegenspieler eckte beim Establishment an

Doch bei Präsidentschaftswahlen haben Vertreter der Parteibasis nur im ersten Wahlgang das Sagen. Erreicht niemand das absolute Mehr – was diesmal der Fall war –, dürfen im zweiten Wahlgang nur noch die Parlamentarier der LDP wählen. In dieser Runde standen sich Kono und Kishida gegenüber. Und da war Kono im Nachteil.

Alle, nur nicht Kono, hätten sich viele Abgeordnete gesagt, sagt Yuichi Hosoya, Professor an der Keio-Universität. Denn Kono versprach faktisch einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie, eine drastische Digitalisierung und neue Regeln für die Wirtschaft. Damit sahen viele im Establishment ihre Pfründen in Gefahr.

Kishida ist dagegen schon wegen seiner Persönlichkeit bekömmlicher für die alte Garde als der leicht aufbrausende Kono. Kishida sei sehr stabil, freundlich, hebe niemals die Hand oder seine Stimme, beschreibt ihn ein Weggefährte.

Bereits kommenden Montag wird Kishida als Ministerpräsident vereidigt – angesichts der Kräfteverhältnisse im Parlament ist seine Wahl eine Formalität. Ein erster Test für Kishida wird die Unterhauswahl in wenigen Wochen sein. Eine Verteidigung der absoluten Mehrheit wäre für den LDP-Chef ein wichtiger Schritt. Fängt er eine Schlappe ein, könnte der Ministerpräsident Kishida schon bald wieder Geschichte sein.

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