FBI-Chef J. E. Hoover: Der Allmächtige hasst Schwule und Muttersöhnchen - WELT (2024)

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Es war fünf vor zwölf Uhr mittags am 2. Mai 1972 Ostküstenzeit, als UPI die Nachricht vom Tod des amerikanischen Schattenmanns verbreitete. Die drei Networks unterbrachen ihr Programm mit atemlosen Bulletins, die Nation erstarrte: John „J.“ Edgar Hoover (77), Gründungsdirektor des Federal Bureau of Investigation (FBI) 1924, der allwissende Mann, unter dem acht Präsidenten und 18 Justizminister gedient hatten, konnte unmöglich einfach tot sein.

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Bald wurde von einem Mordkomplott geraunt ; Linke, Schwarze, Politiker, Gangster aller Art hatten Grund genug, Hoover den Tod zu wünschen und nachzuhelfen. Präsident Richard Nixon, der wie einst der Kommunistenjäger Joe McCarthy zu Hoovers gehätschelten Günstlingen gezählt hatte, aber nun des Alten überdrüssig war, notierte erleichtert in seinem Tagebuch, wie froh er sei, dass Hoover anstandshalber im Amt gestorben sei, bevor er ihn hätte entlassen müssen.

Die Kennedy-Brüder Jack und Bob hatten Hoover verachtet und gefürchtet, weil er den Präsidenten mit seinen Frauengeschichten erpressen konnte und damit drohte. Hoovers Geheimakten waren legendär. Es hieß, er wisse mehr über die Mächtigen Amerikas, als sie über sich selbst.

In den Hymnen, die Amerikas konservative Medien anstimmten, gingen bittere Nachrufe von Schwarzen und Linken unter. Coretta King, die Witwe des Bürgerrechtlers, war immer überzeugt gewesen, dass Hoover ihren Mann hatte zerstören wollte. Kings Erben wie Ralph Abernathy erinnerten an die Paranoia und Verachtung Hoovers, der im FBI („no negro agents“) spät, nur widerwillig und in niederen Positionen Schwarze zuließ. Amerikas Linken entging nicht die Ironie, dass Hoover ausgerechnet in der Nacht des 1. Mai, des Feiertags der Arbeiterbewegung, gestorben war.

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Mit solchen revanchistischen Kleinlichkeiten halten sich Clint Eastwood und Leonardo DiCaprio in „J. Edgar“ nicht auf. Der libertäre Regisseur, allem Staatlichen misstrauend, und sein bekennend linksliberaler Star haben sich verbündet, die Verächter wie die Bewunderer des FBI-Direktors gleichermaßen zu enttäuschen. Gemeinsam mit dem Drehbuchautor Dustin Lance Black („Milk“) entdecken sie die verdrängte, vermutlich nie ausgelebte hom*osexualität des Mannes, der Schwule im FBI wie in der Gesellschaft so gnadenlos verfolgen ließ wie die Anarchisten und Gangster in seinen frühen Jahren.

Hoover heiratete nie und lebte zeit seines Lebens in einer innigen Freundschaft mit seinem Assistenten Clyde Tolson (Armie Hammer). Die beiden aßen täglich gemeinsam zu Mittag und fast immer zu Abend, sie fuhren gemeinsam in Urlaub, beschenkten einander und fotografierten sich in schmeichelnden Posen. Jeder in Washington wusste, dass der „Boss“ und „Junior“, wie Hoover seinen Schwarm nannte, unzertrennlich waren. Niemand hatte den Mut, Beweise für mehr zu suchen.

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„J. Edgar“, der im Februar in die deutschen Kinos kommt, zählt nicht zu Clint Eastwoods stärksten Arbeiten . So bewunderungswürdig der 36-jährige DiCaprio in die Seele und den immer massigeren und faltigeren Leib Hoovers schlüpft – ihm dürfte wieder einmal eine Oscar-Nominierung sicher sein; seinen Maskenbildern der Sieg in ihrer Kategorie –, so konventionell entfaltet sich die Biopic-Handlung mit ihren Rückblenden und dem Tonfall reuevoller, prahlender Reminiszenz.

Er übertrug seine Phobien auf sein Land

Der Aufstieg des jungen Juristen John E. Hoover, der im US-Justizministerium unter dem Eindruck von anarchistischen Attentaten im Jahr 1919 fantasievolle Wege findet, Ausländer und einheimische Intellektuelle auszuweisen, wird eher abgespult als ausgearbeitet. Es geht Eastwood nicht um Recht und Unrecht, sondern um das Gefühlsleben eines Machiavellisten, (vielleicht unbewussten) Schwulen und Muttersöhnchens, der seine Phobien auf ein Land übertrug.

Selbst Hoovers schärfste Kritiker bestreiten nicht, dass er aus dem anfangs ermittlungstechnisch ahnungslosen und entwaffneten FBI von 1924 an eine schlagkräftige Organisation formte. Hoover, ehemaliger Bibliothekar, setzte gegen Widerstände des Kongresses eine zentrale Erfassungsstelle für Fingerabdrücke durch, als viele Kriminalbeamte solche Dinge noch für Humbug hielten. Hoovers spektakuläre Erfolge gegen Gangster wie Machine-Gun-Kelly und John Dillinger und endlich auch Al Capone ließen in Hollywood bewunderte Bad-Guy-Stars wie James Cagney die Rollen mit „G-Man“-Helden tauschen.

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FBI-Agenten beflügelten Jungenfantasien wie Cowboys und coole Schurken. Hoover erwies sich als PR-Genie, der sich im richtigen Moment von der kleinen Shirley Temple küssen und sich mit Starlets in Nachtklubs sehen ließ. Als das FBI 1934 den Entführer und Mörder des Lindbergh-Babys, den Deutschen Bruno Hauptmann, fasste, zweifelte niemand mehr an Hoovers kriminaltechnischer Expertise.

An der Moral seiner Methoden zweifelten nur die, die er verfolgte, überwachte, erpresste. Alles zum Schutz und Wohl Amerikas, versteht sich. Leonardo DiCaprio verdanken wir nicht nur einen überzeugenden Ausblick auf seine Physiognomie in rund 40 Jahren, wenn er sich nicht chirurgisch aufhübschen lässt. Sein Porträt eines zerrissenen Mannes, der ganz Washington an seinen Fäden führen kann, wenn er es wünscht, und es nicht vermag, sich und seinem Partner Clyde seine Liebe zu gestehen, muss anrühren. In seinen Blicken auf den Geliebten spiegeln sich Lust und die Angst davor – in seinem Ton wechseln schroff Zärtlichkeit und Erniedrigung.

"Ich habe nichts gegen die Rechte von Schwulen"

Allenfalls in den späten Jahren, als Clyde Tolson von einem Schlaganfall gezeichnet ist, erlischt der Zauber dieser wohl sexuell unerfüllten, lebenslang treuen Männerliebe. DiCaprios Hoover, der eine Bandaufnahme von Martin Luther King mit einer Geliebten in einem vom FBI verwanzten Hotelzimmer abhört, in den Zügen angeekelter Neid, ist eine ebenso furchterregende wie bemitleidenswerte Figur.

Clint Eastwood galt schon vor seiner Dirty-Harry-Inkarnation nicht eben als der klassische Schwulenfreund. Aber für die Freiheit von staatlicher Bevormundung nimmt er einiges in Kauf: „Ich habe nichts gegen die Rechte von Schwulen, und wenn sie heiraten wollen, warum lässt man sie nicht? Es tut mir nichts und auch sonst niemandem.“ Natürlich lässt sich Clint Eastwood auch nicht in Interviews für oder gegen Hoover vereinnahmen. „Ich glaube, die Botschaft ‚Wenn wir nicht aus der Geschichte lernen, sind wir dazu verurteilt, sie zu wiederholen‘ ist ein wenig in dem Film zu finden.“

Kritiker haben darauf hingewiesen, dass Eastwood es in „J. Edgar“ mit seinem Helden hält wie Oliver Stone 1995 in „Nixon“. Bei beiden überwiege der Reiz, in einer historisch weitgehend negativ gefärbten Figur den strebenden Mann und Patrioten zu entdecken. Was genau aus der Geschichte zu lernen wäre über unterdrückte hom*osexualität wie Paranoia, Rassismus und Antikommunismus diktiert Eastwood weder seinem Star noch dem Zuschauer.

Es wird gegen „J. Edgar“ Einwände von Schwulen geben. Tolson war der zweite Mann nach Hoover im FBI, nicht weniger hart als der Boss. Von Tolson ist bezeugt, dass er Anfang 1968 in einer Konferenz im „Bureau“ über Robert Kennedy sagte: „Ich hoffe, irgendwer erschießt bald diesen Hurensohn.“ Ein Wunsch, den ein gewisser Sirhan Sirhan Monate später erfüllte. Hoover pflegte unliebsame Journalisten als „verwanzte Köter“, „Müllmänner“, „niedriger als Hundescheiße“ zu verhöhnen.

Eleanor Roosevelt, die Gattin des Präsidenten, hasste er inbrünstig, verfolgte sie mit Gerüchten über lesbische Affären und nannte sie, allen Ernstes, noch 1960, drei Jahre vor ihrem Tod, „die gefährlichste Feindin des Bureau“. FDRs furchtlose Ehefrau hatte Hoover in einem Brief Überwachungsmethoden bescheinigt, „die nach Gestapo schmecken“. Die „New York Times“, von Hoover verachtet, schrieb in ihrem Nachruf mit bangem Respekt, als traue sie dem Tod noch nicht: „Fast ein halbes Jahrhundert lang waren J. Edgar Hoover und das FBI ununterscheidbar. Dies war zugleich seine Stärke wie seine Schwäche.“

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